Einen Bilderbuchtext in 7 Schritten optimieren

Bär und Eichhörnchen kuscheln sich aneinander, Entwurf für eine Bilderbuchgeschichte, Illustration Anka Schwelgin

Wie lang darf ein Bilderbuch eigentlich sein?

 

Wenn man mehr über die optimale Länge von Bilderbüchern wissen möchte, stößt man bei der Recherche auf unterschiedlichste Angaben. Man liest beispielsweise von maximal einer DIN-A4-Seite, woanders von 3.000 Zeichen, dann wieder werden 10.000 Zeichen als Obergrenze genannt.

(Infos findest Du zum Beispiel auf www.die-schreibtrainerin.de und www.Autorenwelt.de)

 

Bei Kursen, die ich in Großbritannien gemacht habe, war die Vorgabe für einen Bilderbuchtext sogar nur 500 Wörter.

 

Wie man sieht, gehen die Empfehlungen sehr weit auseinander.

 

Wenn ich überlege, welche Bilderbücher ich gerne vorlese, geht die Tendenz tatsächlich zu den Büchern mit kürzeren Texten – aus dem einfachen Grund, dass ich abends oft selbst müde bin und die Abendzeremonie nicht noch mehr in die Länge ziehen möchte. Aber manchmal sind es gerade die längeren Bücher, die zu Lieblingsbüchern avancieren, wie etwa „Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne“ von Jakob Martin Strid (Boje, 2012), ein Buch, welches das übliche Bilderbuchformat sprengt und sich gleichzeitig großer Beliebtheit erfreut. Die Länge des Textes ist also nicht alles entscheidend, sondern der Unterhaltungswert eines Bilderbuches. Neben der guten Idee oder einem interessanten Thema spielen außer der Qualität des  Textes die Illustrationen eine große Rolle.

 

Von der Idee zur Geschichte

 

Ich habe sehr viele Bilderbuch-Ideen, und machmal habe ich tatsächlich das Glück, dass eine Geschichte in einem Stück, kurz, knackig und auf den Punkt in meinem Kopf Gestalt annimmt.

 

Doch häufig ist der Prozess viel langwieriger. Oft fängt es damit an, dass eine spannende Figur in meinen Skizzenbüchern auftaucht. Da finden erste kleine Interaktionen statt, Bruchstücke für eine mögliche Geschichte. Und dann fange ich an, die Geschichte zu „bauen“. Ich überlege mir einen Handlungsablauf, verwerfe wieder, lasse alles ein bißchen liegen. Dann kommen neue Ideen dazu, die ich mit dem Vorhandenen kombiniere und dann vielleicht wieder durcheinander würfele. Das ganze wiederholt sich einige Male und am Ende habe ich mit Glück einen runden Handlungsbogen. Für diese Kopfarbeit brauche ich vor allem Ruhe ohne jegliche Ablenkung. In einer Familie mit Kindern sind solche Momente selten. Ich finde ich diese Augenblicke meist am frühen Morgen, wenn der Rest der Familie noch schläft. Zum Glück brauche ich nicht einmal aufstehen, sondern kann die Geschichte einfach im Bett in meinen Kopf durchdenken und weiterspinnen.

 

Drauflos schreiben

 

Irgendwann ist der Zeitpunkt da und die Geschichte muss raus aus meinem Kopf. Ich schicke meinen inneren Kritiker (und den Rest der Familie) für ein, zwei Stunden vor die Tür meines BILDERBUCHBÜROS und schreibe alles auf, ohne lange über Formulierungen nachzudenken.

 

So habe ich das vor Kurzem mit meiner Geschichte über einen Bären und zwei Eichhörnchen getan.

 

Füllwörter streichen

 

Das Ergebnis war … viel zu lang. Tatsächlich habe ich mehr als 13.000 Zeichen benötigt. Die Geschichte musste kürzer werden.

 

Mein erster Schritt war, alle Füllwörter zu streichen. Davon benutze ich nämlich auch immer irgendwie unglaublich viele, wenn ich einfach drauflos schreibe. Weg damit!

 

Inhaltliche Wiederholungen streichen

 

Im zweiten Schritt strich ich alle Sätze, die ich beim bewussten Lesen plötzlich als überflüssig erkannte. Ich neige dazu, Dinge in einem zweiten Satz zur Bekräftigung zu wiederholen. Eben mit anderen Worten die gleiche Aussage noch einmal zu machen. Alles raus!

 

Sätze einfach und kurz formulieren

 

Dann trennte ich alle Sätze, die ich mit einem „und“ miteinander verbunden oder ineinander verschachtelt hatte und machte kurze, leicht lesbare Sätze daraus.

 

Und tatsächlich: Bereits mit diesen einfachen Schritten hatte ich mehr als 3.000 Zeichen gespart und die 10.000 Zeichen-Marke geknackt.

 

Der Vorlesetest

 

Diesen Stand der Geschichte las ich meinen Kindern vor. Beim Vorlesen erkennt man, anders als beim stillen Lesen, sehr deutlich, an welchen Stellen eine Geschichte Texthänger hat oder vielleicht schwierig vorzulesen ist. Und die Zuhörer können auf eventuelle Logikfehler hinweisen.

 

In meiner Geschichte waren einige Sachen beim Vorlesen plötzlich langweilig und insgesamt fühlte sich mein Text immer noch zu lang an.

 

Auf das zentrale Thema des Bilderbuchs konzentrieren

 

Also überlegte ich: Was ist das zentrale Thema meiner Geschichte und welche Handlungen dienen nicht dem Fortgang der Geschichte und dem Vermitteln der zentralen Botschaft? An diesem Punkt wird der Kürzungsprozess schwieriger. Man muss Dinge aus der Geschichte streichen, die man witzig oder schön findet oder die man schon immer mal in einer Geschichte erzählen wollte und es passte ja gerade so gut. Manchmal dauert es mehrere Tage, bevor ich bereit bin, mich von geliebten, aber nicht unbedingt erforderlichen Abschnitten zu trennen.

 

In meinem Bärenbuch konnte ich in diesem Schritt weitere Passagen streichen und musste dadurch anschließend noch einiges umschreiben.

 

Illustrationen zum Erzählen nutzen

 

Zuletzt überlegte ich, was ich in den Illustrationen darstellen könnte, so dass ich es im Text nicht zu erwähnen brauchte. Das übt für mich den besonderen Reiz von Bilderbüchern aus: Ich kann zwei unterschiedliche Medien nutzen, die sich im Ergebnis zusammenfügen und so die ganze Geschichte erzählen. Text und Bilder müssen (und sollten!) nicht ausschließlich das Gleiche erzählen. So wird das Bilderbuch spannend und lädt zum Entdecken ein. Man kann sogar soweit gehen, ganze Handlungsstränge, die im Text keine Erwähnung finden, im Bild unterzubringen. Ein gelungenes Beispiel dafür ist das Buch „Anni und die Bärenjäger“ von Lotte Bräuning (Atlantis-Verlag, 2019).

 

Nach all diesen Arbeitsschritten hatte mein Text eine Länge von weniger als 8.000 Zeichen.

 

Ein anderer Weg

 

Es kann sinnvoll sein, andersherum an das Schreiben des Bilderbuchtextes heran zu gehen. Sylvia Englert empfiehlt in ihrem „Handbuch für Kinder- & Jugendbuch- Autoren“ (Autorenhaus Verlag, 2013), die Geschichte auf die üblicherweise 12 Doppelseiten des Bilderbuches zu verteilen und dann den Text dazu zu schreiben.

 

Diese Vorgehensweise kann gut funktionieren, da man ein besseres Gefühl dafür bekommt, wieviel Spielraum man zum Erzählen zur Verfügung hat. Ein Nachteil ist in meinen Augen, dass bereits viel von der möglichen Bildentwicklung vorweg genommen wird. Weil ich meine Geschichten gern selbst illustriere, spielt es für mich eine wichtige Rolle, welche Bilder ich spannend finde und umsetzen möchte. Bilder und Textaufteilung gehen so miteinander einher.

 

Wenn man eher visuell veranlagt ist und seine Geschichten hauptsächlich in Bildern denkt, funktioniert diese Methode natürlich auch: Zuerst skizziert man die Handlung im Storyboard und schreibt erst im Nachgang einen kurzen Text zu den Bildern.

 

So geht’s weiter

 

Meine gekürzte Geschichte habe ich meinen Kindern ein weiteres Mal vorgelesen. Die Vorlesezeit lag unter zehn Minuten. Das Vorlesen fühlte sich stimmig und rund an. Nur an zwei, drei Stellen hatte ich das Gefühl, hier könnte ich noch einige Wörter wegnehmen, was ich entsprechend umsetzte.

 

Mit diesem Ergebnis werde ich nun in den Illustrationsprozess einsteigen.

 

Zusammenfassung: So optimiere ich meine Bilderbuchtexte

  1. den inneren Kritiker nach draußen schicken und einfach drauflos schreiben
  2. Füllwörter streichen
  3. inhaltliche Wiederholungen und überflüssige Aussagen kürzen
  4. Schachtelsätze und Kettensätze in kurze, leicht lesbare Sätze umschreiben
  5. Vorlesetest: Liest der Text sich gut vor? Gibt es langweilige Stellen?
  6. Konzentration auf das zentrale Thema des Bilderbuchs: alle Passagen kürzen, die für die Botschaft und Handlung des Bilderbuches nicht unbedingt erforderlich sind
  7. Illustrationen zum Erzählen nutzen und Text entsprechend kürzen

Viel Spaß beim Schreiben und Kürzen!

 

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